Kraus, Josef by Helikopter-Eltern
Autor:Helikopter-Eltern
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Veränderte Lebenswelten
Allein was die biologische Reifung betrifft, sprechen Experten von einer säkularen Akzeleration: Heranwachsende werden immer früher geschlechtsreif, bis zu fünf Jahre früher als vor 200 Jahren, nämlich zwischen 11,5 und 12,5 Jahren. Um das Jahr 1800 war die Geschlechtsreife erst zwischen 16 und 17 Jahren eingetreten. Allerdings handelt es sich heute zumeist um eine asynchrone Akzeleration. Das heiÃt, die körperliche Reifung eilt der psychischen und sozialen Reifung weit voraus. Die psychische und die soziale Reifung hält oft nicht Schritt mit Verhaltensweisen und Gewohnheiten, die noch vor wenigen Jahrzehnten viel später einsetzten. Immer früher etwa haben Heranwachsende Sex. Den ersten Beischlaf hatten 1977 Geborene mit 15,6 Jahren, also in den Jahren 1992/1993. Heute findet das erste Mal rund zwei Jahre früher statt, also durchaus schon mit 13 bis 14 Jahren. Je niedriger der formale Bildungsgrad ist, desto früher geschieht es.
Das Jugendalter expandiert
Die Lebenszeit strukturiert sich neu, die Grenzen zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter werden flieÃend. Bereits Kinder genieÃen â wie beschrieben â die Segnungen der Konsum- und Freizeitgesellschaft, die bislang Erwachsenen bzw. allenfalls Jugendlichen zugestanden wurden. Die Dauer der Kindheit hat sich verkürzt, weil das Jugendalter immer früher beginnt. Letzteres endet immer später und überschneidet sich mehr und mehr mit dem Erwachsenenleben. Das hat nicht nur mit veränderten Lebensgewohnheiten, sondern unter anderem mit verlängerten Ausbildungs- und Studienzeiten zu tun. So waren etwa die Absolventen einer betrieblichen Lehre 1975 in Westdeutschland im Schnitt erst 19 Jahre alt, 20 Jahre später bereits 21 Jahre. Tendenziell starten die jungen Leute also immer später ins Berufsleben. Das bestätigt für Deutschland die Shell-Studie von 2010: Von den 20- bis 24-Jährigen waren im Jahr 1999 bereits 44 Prozent im Beruf, zehn Jahre später, 2009, waren es erst 37 Prozent. Dieser Trend hat auch damit zu tun, dass die Studierquote innerhalb dieses Jahrzehnts deutlich gestiegen ist.
Gewaltig verändert hat sich die Zahl der Kinder pro Paar. Rund ein Fünftel bleibt kinderlos, Paare mit akademischer Bildung sogar mit einem Anteil von rund einem Viertel. Soweit ein Paar Kinder hat, hat es zu 53,3 Prozent ein Kind, zu 36,0 Prozent zwei Kinder, zu 8,5 Prozent drei Kinder und zu 2,2 Prozent vier und mehr Kinder. In Ostdeutschland wächst ein Viertel der Kinder mit nur einem Elternteil auf, in Westdeutschland ist es etwa ein Sechstel. Bekamen Frauen im Jahr 1963 noch durchschnittlich 2,5 Kinder, so pendelte sich die Geburtenrate seit Mitte der siebziger Jahre bis heute zwischen 1,3 und 1,4 ein.
Die Gründe für gewollte Kinderlosigkeit sind ebenfalls bezeichnend. Ein Drittel der Kinderlosen hat keine Kinder, weil man möglichst viele Freiräume sowie genügend Zeit für sich und seine Hobbys haben möchte. Zwei Fünftel der kinderlosen Männer und Frauen haben keine Kinder, weil sie angeben, noch nicht die passende Partnerin bzw. den passenden Partner gefunden zu haben.
Daraus folgt: Je seltener Elternschaft geworden ist und je später sie im Leben der Eltern zustande kommt, desto mehr wird sie überhöht. Wenn man sich nämlich nach langem Hin und Her für ein Kind entschieden hat, dann soll es ein Prachtkind werden.
Norbert Elias meinte in seinem Essay
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